LITERATUR:Bücher(1-2) ↓ Gedanken → Geschichten →
Stand: 09. April 2008
Walter Moers: Der Schrecksenmeister
Bildcollage 1 zu Walter Moers: Der Schrecksenmeister Autoren wie Walter Moers haben es nicht leicht; haben es schwer oder anders: Es ist schwierig, sie einzuordnen, zu katalogisieren, ihre Kunst zu bestimmen.

Walter Moers, Kinderbuch, - und Phantasieautor. Diese Bezeichnung stimmt äußerlich, stimmt, wenn man sich z.B. den Schutzumschlag des Buches, von Moers selbst gestaltet, ansieht. Das Ganze wirkt ebenso phantasievoll wie kindlich naiv.

Walter Moers hat es schwer. Schwer mit allen, die neuen Literaturformen, die Literaturmutationen ablehnend, kritisch oder gar feindlich gegenüberstehen.

Das von Moers Geschaffene ist phantasievoll, mit Phantasie randvoll gefüllt: Die Einwohner von Zamonien leiden an Hirnhusten und Lebermigräne, Magenmumps und Darmschnupfen, Ohrenbrausen und Nierenverzagen. Eine Zwergengrippe, die nur Personen unter einem Meter Körpergröße befällt. Geisterstundenkopfweh, das Schlag Mitternacht beginnt und Punkt ein Uhr verschwindet, jeweils am ersten Donnerstag jedes Monats. Phantomschmerzen, die ausschließlich Leute bekommen, die schon Gebisse tragen.

Moers Zauberwelt wurzelt nicht in der englisch-angelsächsischen Phantasy(!)literatur, die diese Gattung normiert, sondern ist deutsch, ist Phantasieliteratur. Das gilt nicht nur für den Literaturtyp, sondern auch für Inhalte, etwa, wenn die Schreckse das folgende Gedicht aufsagt und sich hernach mit Echo darüber unterhält:

„Hat der alte Schrecksenmeister
sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
auch nach meinen Willen leben.
Seine Wort und Werke
merk ich und den Brauch,
und mit Geistesstärke
tu ich Wunder auch“

Das alte Gedicht von Ojahnn Golgo van Fontheweg, welches die Schreckse da deklamierte, hätte nicht besser passen können. Echo hatte sich in den späten Abendstunden im Schrecksenhaus eingefunden, um Izanuela beim endgültigen Zubereiten des Liebestrankes zu assistieren.

„Heute muss die Suppe werden,
Frisch, ihr Schrecksen! Seid zur Hand.
Von der Stirne heiß
Rinnen muss der Schweiß!“

rief Echo, dem ein anderes Gedicht eingefallen war.
„Ah!“, rief die Schreckse. „Du kennst dich mit den alten Klassikern aus. Das war aus ‚Die Suppe’ von Freiherr von Dillschic, nicht wahr? Wir kommen in Stimmung! Wir kommen in Wallung! nichts ist bei so einer schrecksimistischen Suppung wichtiger als die Sympathetischen Vibrationen.“


Bildcollage 2 zu Walter Moers: Der Schrecksenmeister Walter Moers hat es nicht leicht. Es ist schwer, schwierig ihn einzuordnen. Die Schublade, da wo er, das von ihm Erwirkt- Bewirkte hinsoll, muss erst geschaffen, definiert werden. Das Fabulierte ist witzig-albern und doch auch ernst. Ernst in dem Sinne, dass es „unsere“ Klassiker wie Goethe, Shakespeare, Dante etc. ins Geschehen mit einbezieht, mit einfließen lässt; deren Größe und Würde zu Stützpfeilern der Geschichte Zamoniens macht oder Urschlamm und Tiefengrund sein lässt, das dem Gefunden- Erfundenen erst Halt, Gehalt gibt. Das ist zugleich auch kindlich. Gewiss. Doch nicht in dem Sinne, wie es für die Gattung „Kinderbuch“ gemäß ist. Kindern wird man in der Regel anderes zu lesen geben, diese werden anderen Lesestoff besser d.h. spannender finden.

Bildcollage 3 zu Walter Moers: Der Schrecksenmeister Was tun mit Moers? Ist er bloß Kultautor? Ein Literaturextremist, der blau, im geblauten Kindergewande daherkommt und darunter Pistolen, Handgranaten, Feuerwerfer hat, mit denen er auf die Reste unserer untergegangen, nicht totzukriegenden abendländische Kultur ballert? Oder ist er vielleicht doch der Begründer, Mitbegründer einer neuen Gattung, dem Phantasieroman für kindlich gebliebene Erwachsene, solche, die einen Zugang zu kindlichem Erleben und Vorstellen sich bewahrt haben. Die dieses beim Lesen mischen, mixen mit dem Erwachsenen-Ich. Irgendwie. Die bei der Lektüre lachen, besser: lächeln.
Über Magenmumps und Lebermigräne, über grübelnde Eier und deren Arbeit an der Korrektur des Schicksals. Die nichts versprechen, denn es ist immer eine Mischung aus Zufall und Präzision! Zufall und Präzision! Da kann man nie wissen. Die über dergleichen lächeln, kurz innehalten, nachdenken, sich inspirieren lassen, was anderes tun. Jetzt.

Das Buch:
Walter Moers. Der Schrecksenmeister Piper Verlag GmgH, München 2007

Ingeborg Bachmann. Das dreißigste Jahr. →
Steward O’Nan. Abschied von Chautauqua. →
Martin Walser. Ein liebender Mann. →
Philip Roth. Exit Ghost. →
Walter Moers. Der Schrecksenmeister ↑
Rüdiger Safranki. Romatik (Eine deutsche Affäre) →
Paul Auster. Die Brooklyn-Revue →
Betrand Russell. Denker des Abendlandes →
Harry Mulisch. Siegfried. →
Justus Noll. Ludwig Wittgenstein - David Pinsent →
Maarten't Hart. Das Wüten der ganzen Welt →
Jonathan Franzen. Die Unruhezone →
Franz Kafka. Tagebücher →
Uwe Timm. Johannisnacht →
Günther Grass. Beim Häuten der Zwiebel →  
Martin Walser. Angstblüte →
Sigrid Damm. Christiane und Goethe →
Philip Roth. Jedermann →
Saul Bellow. Damit du dich an mich erinnerst →
Eric-Emmanuel Schmitt. Das Evangelium nach Pilatus →

Judith Hermann. Nichts als Gespenster →
Erhard Köllner. Homosexualität als anthropologische Herausforderung →
© 2008 ERUNA (Lingenfeld) →
nach oben ↑