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Stand: 21. Januar 2007
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Judith Hermann. Nichts als Gespenster ↓
Judith Hermann. Nichts als Gespenster. Was soll, kann, will ich zu diesem Roman hier auf Erunien sagen/schreiben? Marcel Reich-Ranicki ist sich sicher. „Die Prosa von Judith Hermann“, formuliert er klar und deutlich, „also ihre Geschichtenbände „Sommerhaus, später“ und „Nichts als Gespenster“, gehört zum Wichtigsten, was die deutsche Literatur unserer Jahre zu bieten hat.“

Ich seh das auch so.

Marcel Reich-Ranicki schreibt weiter: “Diese beiden Bücher wurden, ohne dass die junge Autorin je davon geträumt, je es gewollt hätte, Ausdruck der Situation und der Stimmung beinahe einer ganzen Generation.“

Ich gestehe, dass ich mich zu solch einer Lobhudelei nicht hinreißen lassen würd. Deshalb nicht, weil ich Angst hätt, vor solchen Superlativen. So ziemlich alle Germanisten sind sich einig (sic!) darüber, dass Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“ ein Roman war, der auch „Ausdruck der Situation und der Stimmung beinahe einer ganzen Generation“ gewesen ist.

Ich wollt mir dieses Buch kaufen. Der Buchladen in den ich ging, ist einer der Sorte, die vom Verkauf von Kochbüchern *ich liebe Kochbücher*, sog. Trivialliteratur und und leben. Gleichwohl, das merkt man/ich, wie die Verkäufer sich geben, wie sie angezogen sind, wie sie mit dir reden etc. etc- trotzdem wollen sie mit dem Zuvorgenannten nichts zu tun haben. Das zu Verkaufende ist, wie Schopi sagen würde, „für die Fabrikware der Natur bestimmt.“

Der Roman „Nichts als Gespenster“ ist 2003 erschienen. Ich musst ihn mir bestellen. Klar, anderntags kann ich ihn mir abholen, so die Verkäuferin.

Ich will das nicht. Wenn ich in eine x-beliebige Videothek einer Kleinstadt gehe, dann finde ich da sicherlich nicht den „Andrei Rublev“ von Tarkovsky. Ein „grandioses Werk“. *lach net*. Sicher nicht. Aber „Herr der Ringe“, „Matrix“, „Star Wars“ und und (sogar „Batman“), die sind einfach zu haben, egal, was gerade sonst wie „top“ und oder „en vogue“ ist, egal, wie viel Platz zu Verfügung steht.

Und das ist alles gut so. Wer wie ich und du, regelmäßig *leider* die Videothek aufsucht, weiß, dass die Highlights zwar immer wieder kommen, aber nicht ständig präsent sind. Es gibt Wochen, (Tage), an denen nichts zu haben ist. Wirklich „große Filme“ werden nicht am Band geschaffen. Das ist eine Binsenwahrheit. Das ist eine Erfahrung, die jeder kennt, der Kino liebt.

Zurück zu Judith Hermann. Zurück zu „Nichts als Gespenster“. Das Buch ist im Fischerverlag erschienen. Das ist ein großer Verlag. – Dem Werk ist eine Widmung vorangestellt. Ein Zitat von den Beach Boys: „Would’n be nice, if we could live here, make this the kind of place, where we belong“. Das Buch ist auch dem “Franz” gewidmet. Es gibt zwei Widmungen. Das ist nicht üblich.

In dem Buch geht’s um Liebe. Was ist, wie funktioniert Liebe – heute. Ich öffne das Buch wahllos, I-ging mäßig:

Ich kam am späten Abend in Berlin an. Die Wohnung war stickig und still, mir völlig fremd – wessen Bett, wessen Stuhl, wessen Bücher, Papiere, Teetassen, Schuhe im Flur. Auf dem Anrufbeantworter dreimal Ruths Stimme, beim ersten Anruf zärtlich und sehnsüchtig, „Du fehlst mir“; sagt sie, im Hintergrund schien jemand im Zimmer herumzulaufen. Beim zweiten Anruf war sie kurz angebunden – „“Bist du da? Hallo? Bist du schon zurück?“ -,

Es gibt zwei weitere Stellen, die mir schemenhaft in Erinnerung geblieben sind:

Joina verliebt sich in Jonas am 3. Dezember um kurz vor elf Uhr am Morgen auf der Straße, die zum zum alten Thingplatz führt. So ist es gewesen. Es wird um diese Jahreszeit zwischen zehn und elf hell, und irgendwann in dieser einen Stunde wird der Himmel blau, ein lichtes, tiefes ungeheueres Blau, das alle Welt zu versöhnen scheint und zehn Minuten anhält und dann verblasst, erlischt.

Jakob scheut sich nicht, immer und immer wieder ein kleines Gespräch über die Liebe zu beginnen. Er spricht gerne über die Liebe, über unsere Liebe und die Liebe überhaupt, er sagt niemals etwas, das er später bereuen würde, er bereut nicht. Er beharrt darauf, dass niemand irgendwann über uns sagen wird – „Sie sind an der Liebe gescheitert“.

Man/ich möchte das ganze Buch abschreiben. Dieses „Wollen“ wird einem erst bewusst, wenn man/ich irgendwas aus dem Werk aufschreibt. Erst da wird einem klar, wie tief und auch poetisch das Ganze ist. Es ist schön. Das Buch gefällt mir. Ich bin froh, dass ich’s hab. Es kommt in meine Bibliothek. Zu den Klassikern. Zu jenen, die man/ich vergisst, vergessen kann, 10 Jahre. Die man/ich aus einer Laune heraus wieder entdeckt, die man/ich, wenn man alt ist, noch mal liest. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Die zu mir gehören, die mich, meine Weltsicht geprägt, mit geschaffen, mit bestimmt haben. Und das ist gut so.

Daten zum Buch:
Judith Hermann. Nichts als Gespenster. Fischer Verlag 2003.
© 2007 ERUNA (Lingenfeld) →
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