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Stand: 23. Februar 2008
Rüdiger Safranski: Romantik (Eine deutsche Affäre)
Bild1 zu Rüdiger Safranski: Romantik (Eine deutsche Affäre) Sagt einer bei uns d.h. nicht nur auf dem Lande, sondern bei uns in Deutschland: Ich bin Künstler, dann entspricht die Wirkung, das, was er/sie bei unserem Gegenüber hiermit auslöst dem, was xy hervorriefe, wenn er von sich sagte: Ich bin der Prophet Elias.
Der Vergleich mag auf den ersten Blick übertrieben klingen. Trotzdem. Lässt man nur die Wirkung gelten, beschränkt man sich nur darauf, verhält es sich tatsächlich so. Sagt nun einer gar: Ich bin Künstler von Beruf, wird man mit Sicherheit und in der Regel bei seinem Konterfei ein Lächeln, das Lächeln der Macht, der geistigen Überlegenheit herbeizaubern.

Richtig. Verallgemeinern lässt sich dieses Verhalten oder besser: diese Reaktion nicht. Sie ist jedoch umso ausgeprägter, je romantischer unser Gegenüber gestimmt, noch verwurzelt ist. In Musik oder Popsendungen wie VIVA → wird alles mit Künstler tituliert, nennt sich alles Künstler, was dort singt und spielt. Künstler ist hier offensichtlich ein „ganz normaler Job“ wie Bürokauffrau oder Steuerfachgehilfe. Für Menschen, die sich ihren Sinn für Romantik bewahrt haben, die romantisch gestimmt, erzogen oder geprägt sind, verhält es sich anders. So, wie eingangs beschrieben.

Wie kommt das? Unsere Vorstellungen von dem, was ein Künstler ist bzw. zu sein hat, sind geschaffen von den Vorgaben, den Überzeugungen, den Glaubenssätzen, wie sie primär in der Zeit der Romantik →, wie sie von den Romantikern formuliert und auch gelebt worden sind. Spontan fallen einem Begriffe wie „Altlast“ oder „alter Zopf“ ein und zu. Trotzdem.

Bild2 zu Rüdiger Safranski: Romantik (Eine deutsche Affäre) Es steckt, wenn nicht im Blute, so doch fest verwurzelt in unseren Gefühlen z.B. die Annahme, dass Künstler „Ausnahmeerscheinungen“ sind. Jene sind Berufene. Künder. Mittler, Vermittler zwischen den Sphären. Sie sind Sprachrohr des Göttlichen, der Gottheit. Sie sind Propheten für jene, die sich in den „normalen“ Religionen nicht mehr sicher fühlen, die zu auf, - und abgeklärt für diese sind. Für jene wird Kunst zum Ersatz für Religion und der Künstler ist demgemäß Götterbote.

Doch was ist ein Künstler wirklich? Thomas Mann sieht das, was einen Künstler auszeichnet, gelassener, oder zumindest: nüchterner. Du kommst in so fragwürdiger Gestalt, schreibt er. Doch durch dieses Wort, heißt es weiter, ist jedes anständige, jedes selbstkritische Künstlertum zu sich selbst am besten bestimmt.

Von „Fragwürdigkeit“, Skepsis und Zweifel als geistige Haltung zu sich und zur Welt, hiervon wollten die echten Romantiker nichts wissen. Hier war ich gleich ich, hier galt es aufzubrechen, das Inselleben, die Normalität hinter sich zu lassen, es galt in See zu stechen, es galt, die Phantasie zu ergründen, ja, zu erobern; auch das. Solange das Ganze sich nur im Kopfe vollzieht, ist dagegen nichts einzuwenden. Im Gegenteil. Es unterhält, es gefällt dem Publikum, es gibt einen Markt dafür, der nicht schädlich ist, nicht zu sein braucht. Dass Aufgeklärte das Reich oder in den Worten Montaignes: die Macht der Phantasie mit dem Reich und der Allmacht Gottes verwechselten/verwechseln, sollte einen nachdenklich stimmen. Richtig schlimm, so Safranski, wird’s aber dann und dort, wo der Geist der Romantik, die romantische Gesinnung ins Politische „überschwappt“. Damit sind wir wieder beim Prophetischen angelangt. Safranski dokumentiert zwar auf einleuchtende Weise, dass die Wurzeln des Nazitums wesentlich a-romantisch gewesen sind. Gewiss, formuliert er, die Ideen Hitlers waren ganz und gar nicht romantisch. Sie kommen aus den vulgarisierten, moralisch verwahrlosten und zur Ideologie gewordenen Naturwissenschaften: Biologismus, Rassismus und Antisemitismus. Das mag stimmen. Gewiss waren und sind die waschechten Romantiker für solche Haltungen nicht gebaut, nicht hart und abgebrüht genug; sind sie viel zu weltfremd, zu weit weg vom Alltag, der Insel. Trotzdem. Das Auftreten etwa von Adolf Hitler z.B. auf den Reichsparteitagen etwa in Nürnberg war immer auch eine romantische Inszenierung, hatte was von jenem „Teufel, Tod und Gruft“, was nur der Romantik innewohnt.

Bruchstücke. Vergessen, verschollen, verrottet Geglaubtes. Liest man Safranski’s Buch, fangen jene Fragmente, Restgebilde an zu klingen; zeigen sich als massiv. Leuchten.

Bild3 zu Rüdiger Safranski: Romantik (Eine deutsche Affäre) Gewiss nicht bei allen. Bei allen nicht mehr. Bei den Jungen nicht mehr oder doch und gerade hier auch wieder. Dann jedoch nicht als Prägung, sondern als Sein. Romantik ist auch das Lebens- und Schaffensgefühl der Jugend. Hier ist der Künstler darum auch schnell und gleich mein Idol und der Gott. Die Romantik ist also nicht totzukriegen; sie lässt sich nicht ad acta legen. Verwurzelt in den einen, immer wieder aufflackernd als Entwicklungsphase bei den Anderen. Trotzdem. Gott zweifelt nicht, Künstler schon. Manchmal. Gar nicht, wenn das Geschaffene gelungen d.h. beendet ist.

Das Buch:
Rüdiger Safranski. Romantik. (Eine deutsche Affäre) Carl Hanser Verlag. München. 2007.


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Safranski's Buch über die Romatik ist in allen großen/größeren Zeitungen besprochen worden und vieles kann hier im Internet nachgelesen werden. Interessant und spannend finde ich Fernsehbeiträge, in denen Safranski sich selbst zu seinem Buch äußert und die neuerdings kostenlos und jeder Zeit, auch jetzt, online zu Verfügung gestellt werden.

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