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Stand: 21. Januar 2007
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Eric-Emmanuel Schmitt. Das Evangelium nach Pilatus ↓
Ich mag sie nicht. Diese Elke Heiden-reich mit ihrer „auch-Katzen-sind-Menschen“ Art. Sie war es, die den Roman „Monsier Ibrahim etc“ von Eric-Emmanuel Schmitt als „unendlich zartes, schönes, liebevolles Buch“ auswies.

Spricht man/ich mit Pubertierenden (exemplarisch) über diesen Roman, so wird einem bestätigt, was einem zuvor schon klar war, nämlich, dass Schmitt überhaupt nicht die Lebens,- und Gefühlswelt eines Jugendlichen wiedergibt. Was Schmitt da tut, ist reines Wunschdenken. Ein Pubertierender geht nicht zu Prostituierten. Er/sie will das auch gar nicht. Das ist der Punkt. Mit anderen Worten: Die Lektüre ist ebenso peinlich wie ein Gespräch darüber mit denen, die so alt sind wie der eine Held.

Eric-Emmanuel Schmitt war vor seiner Wende Dramatiker. Er gehörte, man beachte den Superlativ, neben Yasmina Reza, die auch nicht ohne ist, zu den am meisten gespielten Theaterautoren der Gegenwart. Zu Recht! „Enigma“ ist ein Drama, das den Gang ins Theater lohnt, das Gegenwart und nicht Altes, irgendwie bekannt-Überholtes thematisiert.

Sicheres Kennzeichen von jedem Roman, von jedem fiktionalen Text, ist dessen Glaubwürdigkeit. Man spricht in diesem Zusammenhang passend von „den erfundenen Wahrheiten“. Bei Schmitt wird unsereins andauernd mit Situationen konfrontiert, die völlig unplausibel sind, die so, in der „erzählten“ Art und Weise, nie stattfinden können. Wir „fallen“ dann wie auf eine andere Bewusstseinsebene und was wir dann lesen, ist spannend. Zumeist sind es philosophische Einsichten, die Schmitt verständlich rüberbringt. Das ist der Grund, warum unsereins ein Buch ums andere von Schmitt liest.

So auch den Roman „Das Evangelium nach Pilatus“. Schmitt moralisiert, dass einem die Haare zu Berge stehen- sollten. Was sie nicht tun. Hier eine kleine Kostprobe, ein Appetizer:

„Aber du weißt ja, lieber Bruder: Er findet immer einen Anlass für einen Skandal. Diesmal waren es ein paar junge Männer, die sichtlich für Leibesübungen schwärmten und ihre eingeölten, muskulösen Körper im Ringkampf und Gewichteheben übten.
„Schöne Männer ohne Kultur sind wie Marmorgefäße, die Essig enthalten“, ätzte er. „Ihr dauert mich! Da verbringt ihr mehr Zeit damit, laufen oder werfen zu üben, als ein anständiger Mensch zu werden. Was soll dereinst auf eurem Grabstein stehen? Er hatte Muskeln?“
Dann fiel er über einen etwas verweichlichten Jungen her, der die Athleten mit großen Augen beobachtete.
„Die Natur hat dich zum Manne gemacht. Willst du deinen Fall noch verschlimmern, indem du zum Weibe wirst?“
Erst als es mir gelungen war, mich mit ihm in ein Dampfbad zurückzuziehen, konnten wir reden. Er erzählte von seinem wachsenden Interesse für Jeschua, den er für einen Philosophen erster Güte hielt, weil er sich offenbar Diogenes’ Ideale zu eigen gemacht hatte, indem er durchs Land zog und die Menschen provozierte, um ihre Gewissheiten zu erschüttern.“

Früher, als die katholische Kirche noch an der Macht war, im Mittelalter vorzugsweise, gab es schwarze Listen, einen Index auch für Bücher, die nicht gelesen werden durften, die verboten waren. Die Kirche hat ihren Widerstand gegen die Naturwissenschaft (vergl. Galilei) und Emanzipation (vergl. Kant) verloren. Und vielfach scheinen heute die Positionen wie vertauscht. Galt etwa im 15. Jahrh. die Maxime, dass „die regio spiritualis über die regio analis herrsche“, so ist es inzwischen soweit, dass wenigstens der Körper das Maß aller Dinge ist. Oftmals zumindest. Mit anderen Worten: Dieser Schmitt ist reif für den Index!

Daten zum Buch:
Eric-Emmanuel Schmitt. Das Evangelium nach Pilatus. Ammann Verlag 2005.

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