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Stand: 14. Juni 2007
Franz Kafka: Tagebücher 1909-1923
Wie wird man erwachsen? Wie formuliert, wie findet man/ich/Du einen, seinen Lebensentwurf, der vom Ende her gesehen als richtig, als wahr sich erweist? Ist so was überhaupt möglich? Ist nicht alles mehr oder minder bloß blindes Experimentieren-müssen?

Am 3. Januar 1912 schreibt Kafka nunmehr 29 Jahr alt ins Tagebuch:

Bild: Zeichnung von Kafka In mir kann ganz gut eine Konzentration auf das Schreiben hin erkannt werden. Als es in meinem Organismus klar geworden war, dass das Schreiben die ergiebigste Richtung meines Wesens sei, drängte sich alles hin und ließ alle Fähigkeiten leer stehn, die sich auf die Freuden des Geschlechtes, des Essens, des Trinkens, des philosophischen Nachdenkens, der Musik zuallererst, richteten. Ich magerte nach all diesen Richtungen ab. Das war notwendig, weil meine Kräfte in ihrer Gesamtheit so gering waren, dass sie nur gesammelt dem Zweck des Schreibens halbwegs dienen konnten. Ich habe diesen Zweck natürlich nicht selbstständig und bewusst gefunden, er fand sich selbst und wird jetzt nur noch durch das Büro, aber von hier von Grund aus, gehindert. Jedenfalls darf ich aber dem nicht nachweinen, dass ich keine Geliebte ertragen kann, dass ich von Liebe fast genauso viel wie von der Musik verstehe und mit den oberflächlichsten angeflogenen Wirkungen mich begnügen muss, dass ich zum Silvester Schwarzwurzeln mit Spinat genachtmahlt habe und ein Viertel Ceres dazu getrunken habe und dass ich Sonntag bei Maxens Vorlesung seiner philosophischen Arbeit nicht teilnehmen konnte; der Ausgleich alles dessen liegt klar zutage. Ich habe also nur die Büroarbeit aus dieser Gemeinschaft hinauszuwerfen, um, da meine Entwicklung nun vollzogen ist und ich, soweit ich sehen kann, nichts mehr aufzuopfern habe, mein wirkliches Leben anzufangen, in welchem mein Gesicht endlich mit dem Fortschreiten meiner Arbeiten in natürlicher Weise wird altern können.

Wir, die wir Kafkas weiteres Leben, sein Schicksal kennen, wissen, dass dieser Entwurf, dieser Entschluss rund war, dass er ganz und gar zum Ausdruck brachte, was es mit ihm und seinem Können „auf sich hatte“.

Das Seltsame: Kafka weicht von dieser seiner inneren Gewissheit ab, versucht all das Andere, Ausgeschlossene zu integrieren, mit unter den „Hut zu bekommen“, was misslingt. Seine Beziehungen zu wem auch immer scheitern, er packt es nicht, nachts zu schreiben und tagsüber im Büro zu arbeiten, sein Leben mit der Familie ist einfach nur traurig- man spricht kaum miteinander, der literarische Erfolg stellt sich nicht ein, schließlich wird Kafka krank und stirbt mit 41 Jahren an Tuberkulose.

Das Buch:
Franz Kafka. Tagebücher 1909-1923. Fassung der Handschrift. Fischer Verlag GmbH 1997.

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